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Weberknechts Karneval

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Eine Frau sitzt am Küchentisch und schluchzt, in den Armen ein Haarbild. Der neuste Teil, ein rostroter Zopf, noch kurz, von ihrer Jüngsten.
Es ist normal, Kinder im frühen Alter zu verlieren, selbst die Magara-Priesterinnen können nicht jede Krankheit heilen, und manchmal ist es einfach ein unglücklicher Zufall, der die Namen in das Buch des Gottes der Toten schreibt.
Und manchmal passieren solche Dinge.
Es sollte ein glücklicher Tag werden, ein Karneval war in die Stadt gekommen, mit Künstlern und Akrobaten, Feuerspeiern und fremdartigen Völkern, mit Handelsware aus fernen Ländern und längst vergessenen Ruinen. Exotische Gerüche – sie hatte das Wort auf dem Karneval aufgeschnappt –, seltsame Speisen, Stoffe in Farben, wie sie sie sonst nur bei den schönsten Blumen und Sonnenuntergängen gesehen hatte, weiche Kleider mit allerlei glitzernden und funkelnden Dingen bestickt, bemalte Töpferware und solides, ehernes Werk, inmitten von Schaustellern aller Länder, manche waren halb Vogel, andere teils durchsichtig und reflektierten das Sonnenlicht von ihrer eisigen Haut, Tänzerinnen, die in ihren Tüchern wie Schmetterlinge aussahen und solche, die sich an den Seilen der riesigen Zelte bewegten wie Schlangen und Spinnen, etwas unheimlich, aber grandios, nie gesehen, während unten dunkelhäutige Beladi und raue Matawa ihren Instrumenten wunderbare Klänge entlockten.
Die Frau erinnert sich an etwas, das ihre Urgroßtante ihr erzählt hatte. "Wenn Weberknechts und Silberkiels Karneval in deine Stadt kommen... Und die Vorführungen aufregender und waghalsiger werden, je später es wird... Vergiss niemals, den Karneval zu verlassen, bevor die Sonne unter den Horizont gesunken ist." Weberknechts und Silberkiels Karneval... Ja, das war über dem Eingang gestanden. Was für eigenartige Namen, hatte die Frau sich gedacht, sich aber nicht an die Worte ihrer Urgroßtante erinnert. Es war eine ländliche Gegend, weit im Landesinneren, wo fast nur Magara verehrt wurde, die Göttin der Fruchtbarkeit, und Kinnavari, die Göttin des Handwerks. Der Gott der Magie war fast unbekannt, und die Göttin der Künste ebenso, Weberknecht und Silberkiel waren einfach Begriffe ohne Nebenbedeutung. Der dritte Name, der in Verbindung mit den dreien genannt wird, hinter vorgehaltener Hand. Neunauge. Der Name hatte keine Bedeutung für die Frau gehabt, und sie hatte ihn vergessen. Neunauge. Die geflügelte Schlange. Das Schauermärchen, das man den Kindern erzählte, damit sie sich nicht in der falschen Gesellschaft verfingen, ein Wesen, das sich nicht um die Sterblichen scherte, und ihnen zum eigenen Vergnügen beim Sterben zusah.
Die Frau schluchzte.
Dieses Monster.

Sie hatte sie nur kurz gesehen, aber sie war sich sicher gewesen. Ihre Jüngste war in dem Trubel verloren gegangen, und der Himmel verfärbte sich langsam schwarz, die fahrenden Künstler und Händler entzündeten Fackeln und Laternen, mit buntem Glas und farbigem Feuer, aber die Frau hatte ihren Ältesten nach Hause geschickt, Magara sei Dank, er war sicher angekommen, und hatte sich mit ihrem Mann auf die Suche nach der Jüngsten gemacht, doch ihre Stimme wurde nicht gehört über den Besuchermassen, nur eine, eine hatte sie aufgefangen, oder sie die ganze Zeit beobachtet. Für einen Moment hatte sie in ein Gesicht gesehen, weiß und schwarz bemalte Haut, und ein Grinsen, das ihr Gesicht von einem Ohr bis zum anderen gespalten hatte. Es war an sie gerichtet gewesen. Im nächsten Augenblick war das Gesicht verschwunden, aber es war für immer in ihr Gedächtnis gebrannt.

Manche Kinder,die die geflügelte Schlange mit sich nahm, wurden gefunden, und, so gut es ging, identifiziert, zusammengesetzt, und bestattet. Die Priester des Gottes der Toten verstanden ihr Handwerk, und in seinen Händen sind die Seelen sicher, aber ohne Körper kann es keine Überweisung ins Reich der Toten geben.
Manche Kinder wurden nie gefunden.
Dieses Wochenende kam mir ein Einfall dazu, was es denn sonst noch so an Sehenswürdigkeiten in meiner Welt geben könnte, und dazu gehört Weberknechts und Silberkiels Karneval. Weberknecht ist der erste Ascended der Albträume, also ein Diener Daberachs, und Silberkiel ist ein Ascended der Imagination, also ein Diener Veires. Neunauge, die gefiederte Schlange, ist die erste Ascended der Magie, auch eine Dienerin Daberachs. Nur so nebenbei.
Ich bin länger damit rumgeeiert, dieses Szenario/Setting auszuarbeiten, bis mir die Idee gekommen ist, es von außen zu beschreiben -- mit dem Blick auf eine Frau, deren jüngste von Neunauge gestohlen wurde. Warum Neunauge das macht? Das ist eine andere Geschichte.

~SulZala

Edit: Ich sollte Geschichten, die ich um 12 Uhr nachts geschrieben habe, erst hochladen, wenn ich sie in einem wacheren Zustand noch einmal durchgelesen habe. Rechtschreibfehler? Nein. Wörter die da nicht hingehören? Ja =_="
© 2012 - 2024 SulZala
Comments4
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shoughad's avatar
:clap: Nachdem ich in drei Gruppen, denen wir beide Mitglied sind, immer wieder über den seltsamen Titel gestolpert bin, musste ich einfach mal schauen, was genau sich dahinter verbirgt. Ich habe irgendwie etwas mit ... Spinnen erwartet. ;) Gut, dass meine Erwartungen dermaßen "enttäuscht" worden sind. :thumbsup:.

Ich kann Dir nicht wirklich sagen, was genau mir an der Geschichte so gut gefällt. Mal ist es ihr "Schnipsel"-Charakter (will sagen: die Zugehörigkeit zu einer eigenständigen Fantasy-Welt, die aber nicht näher beschrieben wird, so dass ich meiner eigenen Imagination freien Lauf lassen kann); mal der Absatz, in dem Du den Karneval beschreibst; mal die eigenartige Abgeklärtheit, die der "Betrachter" dem eigentlich traurigen Anlass der Geschichte entgegenbringt.